Streichzithern
Andreas Michel
Georg Kinsky nannte in seinem Katalog zur Heyerschen Instrumentensammlung die Streichzither ein "ziemlich überflüssiges Instrument". Mag diese Ansicht aus der Sicht der Geschichte europäischer Kunstmusik stimmen, so darf der in großen Stückzahlen erfolgte Bau verschiedenster Streichzithermodelle und deren massenhafte Verbreitung in einem Zeitraum von über einem Jahrhundert hinweg nicht ignoriert werden.
AMZ XXXVIII (1836), Sp. 759 Welche Idee lag dem 1823 von dem Münchener Johann Petzmayer erfundenen Instrument zugrunde? Streichzithern modifizieren die individuellen baulichen Merkmale der Zither derart, daß diese mit einem Bogen angestrichen werden kann, die Zupfspielart also dem Streichen weicht.
Zunächst war also eine Verringerung der Saitenzahl notwendig: Petzmayers frühe Instrumente waren lediglich dreisaitig (erst einige Jahre nach der Erfindung wurde der viersaitige Bezug zum Standard). Zugleich mußte die Saitenebene ausgewölbt werden - die wohl noch wichtigere Voraussetzung für ein Streichinstrument.
Eigentlich fanden sich diese Merkmale in voll ausgereifter Form seit mehreren Jahrhunderten in der Violin-Familie gegeben, so daß sich die Frage nach dem Neuen mehr als berechtigt stellte. Die Individualität der Streichzither leitet sich aus mindestens zwei Merkmalen ab. Zum einen ist es das der Zither entlehnte Griffbrett mit Metallbünden und eine der klassischen Violinstimmung spiegelbildlich folgende Besaitung: Die höchste Saite bindet sich nicht links, sondern rechts vom Griffbrett. Und wie bei der Zither sollte der Spieler im Sitzen musizieren, auch die Streichzither wurde auf einen Tisch gelegt oder zwischen den Schoß des Spielers und die Tischkante geklemmt.
Um sich zudem deutlich von den Vorbildern der Streichinstrumente abzuheben, wählte man für den ersten und auch beständigsten Streichzithertyp eine Herzform. Der Obersattel befindet sich hier direkt auf der Korpusspitze.
Bis auf die ungewöhnliche Gestalt brachte die Erfindung an sich nichts wesentlich Neues. Erst die Vereinigung mehrerer, jeweils für sich genommen auch historisch bewährter Eigenheiten lassen bedingt von einer Neuentwicklung sprechen.
Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. XXXVIII, v. 16.11.1836, Sp. 759
Parallel und zeitgleich, ebenfalls im Jahre 1823, baute der Wiener Instrumentenmacher Johann Georg Stauffer Streichgitarren (unter dem Namen Arpeggione bekannt geworden, vgl. Nr. 609). Auch hier liegt das gleiche, von Petzmayer praktizierte Verfahren der Mutation eines Zupfinstruments in ein Streichinstrument vor.
Obwohl die herzförmige, 1823 von Johann Petzmayer in München kreierte Streichzither als Prototyp gelten darf, folgten in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Variationen und Neubildungen der Streichzither.
Breitoline Die Breitoline, ein nach ihrem Erfinder Leopold Breit benannte und von diesem 1856 in Brünn gebaute Streichzither mit dem Korpus einer Bratsche lehnt sich an die klassische Form der Streichinstrumente an. Sie wurde zunächst mit 5 Stahlsaiten bezogen, später dann in kleineren Ausführungen mit 4 Saiten in Geigenstimmung. Das Synonym Schoßharfe leitet sich von der Spielhaltung her: Das Instrument wird auf den Schoß gelegt und gegen den Tisch gestemmt. Als Besonderheit ist der abschraubbare Hals erwähnenswert.
Streichmelodion Wenige Jahre später entstand mit dem Streichmelodion eine weitere Variante, die ein historisierendes Violenkorpus aufweist. Auffallend ist das breite Griffbrett mit rechteckigem Grundriß. Als vergrößerte und klangkräftigere Streichzither wurde es vor allem in Markneukirchen gebaut. Im 19. Jahrhundert stellte dort die Fabrik Ernst Rudolf Glier (gegr. 1884) Streichmelodions her. Zum Spielen wird das Instrument flach auf den Tisch gelegt oder wie die Breitoline zwischen Schoß und Tischkante geklemmt.
Violinett Das Violinett ist ebenfalls eine auf den Tisch zu legende Streichzither, die sich an wesentliche Eigenschaften der Violine (deren Besaitung, Baßbalken, Stimme, Steg und Schallöcher) anlehnt. Aufgrund des Korpusumrisses, der Deckenform und -stärke steht es etwa zwischen Geige und Zither.
Erfinder und Hersteller dieses Streichinstruments war der Zithermacher Johannes Pugh, der für das Instrument 1903 ein Patent erhielt (D.R.P. Nr. 154206). In der Patentschrift wird allerdings der Name Violinett nicht genannt, es ist lediglich von einem »Streichinstrument« die Rede. Pugh, der seine Erfindung auch in Großbritannien und Österreich patentrechtlich schützen ließ, baute das Violinett als Satz in Diskant-, Alt-, Tenor- und Baßlage.
ZfI XXIV, 1904, S. 643; Heyde 1989, S. 16. "Violinette": Warenzeichen der Firma Heinrich Suhr, Neuenrade i. W.; angemeldet am 28.3.1901; eingetragen am 21.10.1901; Geschäftsbetrieb für die Fabrikation von Streichzithern (ZfI XXII, 1901, 183).
Violin-Melodion Noch stärker als das Streichmelodion lehnt sich das Violin-Melodion an die klassische Violinform an. Dieses, allerdings seltener gebaute Instrument mit Violinstimmung, besitzt ein gewölbtes Griffbrett mit Bünden, das sich in Form und Maß stark an das Violingriffbrett hält. (vgl. Frankfurt/O., Inv.-Nr. 119)
Philomele Auch die um die Mitte des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich in München erfundene Philomele oder Stahlgeige weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Streichmelodion auf. Das flache Korpus sowie die Deckenberippung weisen sie als Streichzither aus, wobei die Annäherung an die Violine durch den Wegfall von Bünden verstärkt wird. Die Preisliste Nr. 70 der Markneukirchner Handelsfirma wunderlich (um 1929) führt die Philomele mit Schraubenmechanik synonym mit Streichmelodion (vgl. Nr. 904).
Seit etwa 1895 werden die Streichzithern mit einer Schraubenmechanik mit Schneckengetriebe gebaut.
Preisliste der Handelsfirma Gustav Roth, Markneukirchen, um 1900 Preisliste über Musikwaren und Saiten von Gustav Roth. Markneukirchen (Sachsen). Gegründet 1870. Markneukirchen o.J. [um 1900], S. 30
Violinzither
Als Sonderform der Streichzither, eigentlich als Kompilation von Schlag- und Streichzither sind die unter dem Namen Violin-Zithern und Violin-Harfe im 20. Jahrhundert verbreiteten Instrumente anzusehen. 1925 erhielt die Firma Clemens Neuber in Klingenthal einen Gebrauchsmusterschutz für eine neu entwickelte Violin-Zither (D.R.G.M. Nr. 903152). Das Instrument verbindet Merkmale der griffbrettlosen Akkordzither mit den Möglichkeiten, einzelne Saiten anzustreichen. Zum Streichen der Melodiesaiten wird ein kurzer, nur etwa 55 cm langer Violinbogen verwendet, der mit der rechten Hand geführt wird. Die meist 18 diatonisch gestimmten Saiten für das Melodiespiel sind von unterschiedlicher Länge, so daß jede an einer bestimmten Stelle einzeln angestrichen werden kann. Die Saiten für die Melodiebegleitung sind in 5 oder 6 Akkorden zusammengefaßt, so daß eine einfache funktionsharmonische Liedbegleitung ausgeführt werden kann. Gespielt wurde nach Unterlegnoten, auf denen auch die zupfenden Akkorde vermerkt waren. Die Violin-Zithern mit dem Namen "Kalliope" der Handelsfirma C. A. Wunderlich, Siebenbrunn (Vogtland), trugen das D.R.G.M. Nr. 973507. Die Konzert-Violin-Harfe ist eine von dem Klingenthaler Max Lausmann (geb. 1905) gebaute Variante der Violin-Zither (Reinbothe 1987, S. 7f.).
Stimmungen der Streichzither
ursprünglich 3 Saiten (Petzmayer 1823) a' - d' - g
viersaitiger Bezug
(= Violinstimmung, invertiert)
e² - a' - d' - g
auch als fünfsaitiger Bezug mit zusätzlichem c e² - a' - d' - g - c
Viola-Streichzither
(= Bratschenstimmung, invertiert)
a' - d' - g - c
Cello-Streichzither e' - a - d - G
Baßstimmung a - d - G - C
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