Die Lyra-Gitarre von Jacob August Otto im Schloss Tiefurt
Ulrike Müller-Harang
Charles Doisy: Principes Généraux de la guitarre à sinq et à six cordes et de la Lyre. Paris 1801, S. 72 Die neue französische Lyra-Guitarre, AMZ, Nr. 45 vom 5. August 1801 Lyra-Gitarre der Herzogin Anna Amalia; Jacob August Otto, Weimar 1804 Abb. 1: Charles Doisy: Principes Généraux de la guitarre à sinq et à six cordes et de la Lyre. Paris 1801, S. 72; Abb. 2: Die neue französische Lyra-Guitarre, Allgemeine Musikalische Zeitung, Nr. 45 vom 5. August 1801; Abb. 3: Lyra-Gitarre der Herzogin Anna Amalia; Jacob August Otto (1760-1829), Sign.: "me fecit JAO. 1804" (Aufschrift im Medaillon); Klassik Stiftung Weimar, Schloß Tiefurt, Inv.-Nr. Kg-2006/92; Foto: Roland Dressler
Zur Sammlung des Schlosses Tiefurt gehört eine Lyragitarre, die 2007 in der Sonderausstellung "Ereignis Weimar" im Kontext des Themas "Dilettantismus in der Kunst" ausgestellt wurde (Katalog-Nr. 8.11). Die Lyragitarre ist Ausdruck der Antikenverehrung in der zweiten Hälfte des 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert. Die Lyraform galt als beliebtes Ziermotiv und findet sich unter anderem in Uhrgehäusen, Tischgestellen, Stuhllehnen, es machte auch vor Musikinstrumenten nicht Halt, z. B. Klavier und Gitarre. Das Schloß Tiefurt hatte Erbprinz Carl Friedrich Anfang der 1820er Jahre in seine Obhut genommen, nachdem das darin geführte großherzogliche Institut zur Ausbildung junger Landwirte nach Jena verlegt worden war. Er ließ den vernachlässigten Park, das Schloß und seine Inneneinrichtung wiederherstellen und orientierte sich dabei am Zeitgeschmack der Klassik. Goethe hatte großen Anteil daran, Carl Friedrich für diesen kulturgeschichtlich bedeutenden Zeitabschnitt zu sensibilisieren. Den antiken Bezug des Landsitzes seiner Großmutter Anna Amalia ließ Carl Friedrich in der Inneneinrichtung wieder aufleben und manches Erinnerungsstück aus dem Familienbesitz fand Eingang in die Präsentation. Aber viele Stücke erwarb Carl Friedrich von Antiquitätenhändlern, und bis heute war fraglich, ob die Lyra-Gitarre überhaupt aus dem Besitz Anna Amalias stammte. Es ließ sich nachweisen, daß Carl Friedrich sie aus zweiter Hand erwarb, sein eigenhändiger Eintrag im Rechnungsbuch vom 15./17.Dezember 1829 lautet: "eine Gitarre in Form einer Apollo’s Lyra, die meiner sel. Großmutter gehört hatte." Damit ist die Zuordnung zu Anna Amalia eindeutig bestimmt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Anna Amalia das Instrument anfertigen ließ, denn in der Augustnummer des Jahrgangs 1801 der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung wurde das Instrument als "neue französische Lyra-Guitarre" vorgestellt und exakt so abgebildet (siehe Abb. 2), wie das ausgestellte Instrument ausgeführt wurde (Abb. 3). Die Abbildung in der AMZ wiederum geht auf eine Vorlage aus der Gitarrenschule von Doisy zurück (Abb. 1). Als Verfertiger kommt der als Weimarischer Hof-Instrumentenmacher tätige Jacob August Otto in Frage, was bisher nur Vermutung sein konnte, weil sich die Aufschrift auf dem Medaillon des Instruments heute nur noch als "me fecit AO. 1804" erahnen läßt, und den Gepflogenheiten der Instrumentenbauer zufolge es auch "anno 1804" bedeuten könnte. Gewißheit verschaffte erst der Eintrag eines akribischen Kanzleidieners im Tiefurter Inventarverzeichnis von 1857, in das er exakt das eintrug, was damals noch zu lesen war, nämlich "me fecit JAO. 1804", wobei JA als Ligatur zusammengezogen ist; die Lesart "anno" ist dadurch ausgeschlossen.
Berlinische Musikalische Zeitung 1805   Berlinische Musikalische Zeitung, herausgegeben von Johann Friedrich Reichardt, Nr. 73, 1. Jahrgang, 1805, S. 290

In der von Johann Friedrich Reichardt verfassten Annonce wird Jacob August Otto auch als Hersteller von Lyragitarren gewürdigt.
Fraglich ist indessen, ob diese Aufschrift tatsächlich vom Instrumentenmacher selbst stammt. Es war absolut unüblich, daß der im gesellschaftlichen Leben devot auftretende Handwerker sich mit "me fecit" und seinen Initialen derart in den Vordergrund drängte. Wenn man Glück hat, findet sich im Innern eines Instrumentes ein dezent angeklebter handschriftlicher Zettel mit dem Namen des Instrumentenmachers. Nur etwa im Falle einer Huldigung des Künstlers an eine hochgestellte Persönlichkeit, der er das Instrument widmete oder schenkte oder beides, wäre eine solche anlaßgebundene Signatur auf der Schauseite des Instruments denkbar. Dafür findet sich jedoch kein Nachweis. Vielleicht erfolgte die Beschriftung des Medaillons in Erinnerung an den versierten Instrumentenbauer, der im selben Jahr stirbt, in dem Jahr Carl Friedrich das Instrument erwirbt und es für die Tiefurter Einrichtung präpariert. 1832 vermerkt die Inventarliste im Speisezimmer eine "Lyragitarre auf schwarzpoliertem Fuß, auf dem Klavier befindlich", und bis heute besteht dieses museale Ensemble aus Gitarre und Klavier, nur findet es sich jetzt im Musikzimmer.
Publiziert in: Augenblick. Mitteilungen des Freundeskreises Goethe-Nationalmuseum e.V. 3/2007 (15. Juli 2007)
Lit.: Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und das Entstehen der Klassik 1757-1807, Klassik Stiftung Weimar und Koehler & Amelang GmbH Leipzig, 2007, Abb. 65, Seite 105
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