Pandora
Andreas Michel
Mit dem Namen Pandora (Penorcon, Orpheoréon) wurde ein besonderer Zisterntyp mit mehrfach eingebuchteten Zargen, schräg gestelltem Querriegel zur Vergrößerung der Mensuren der Baßchöre und entsprechend schräg angebrachten Bünden bezeichnet (siehe Praetorius 1619, S. 53f.; Sachs 1930, S. 234; Gill 1960, S. 14ff.).
Terminologie
Pandor, Pandore, im 16. Jahrhundert aufgenommen aus franz. Pandore, ital. Pandora, vom spätlatein. Pandura, Pandurium (vgl. Diez 1878, S. 233; Grimm 1889, VII, S. 1421). Die Namen "Penorcon" und "Orpheoréon" kommen in deutschen Quellen - außer bei Praetorius (1619, S. 54 und 235, dort korrigierte Schreibweise "Orpheoréon") - nicht vor.
Name Nachweis Quellen
Bandor Instrumenteninventar Berlin 1667 Sachs 1910, 225
Musikantenverzeichnis Dresden 1695 Becker-Glauch 1951, 85
Bandoer Praetorius 1619, S. 10 und 53  
Pandor Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel, Vincento Ladislao, 1594 Holland 1855, 450
Stuttgarter Hof 1610 Bossert 1911, 204
Heinrich Schütz: Historia von der Auferstehung Jesu Christi, Dresden 1623 (Vorrede)  
Gabriel Voigländer: Allerhand Oden und Lieder, Sohra 1642 (Titel)  
Instrumenteninventar Weimar 1662 Aber 1921, 150
Andreas Beyer: Der Christliche Bergmann oder
Bergmännische Christe, Leipzig 1681; S. 275
 
Pandora Praetorius 1619, S. 5  
Wolf: Musikalisches Lexikon 1792, S. 138  
Schneider 1834, S. 111  
Pandorra Praetorius 1619, S. 47 und 53  
Pandure Güstrower Hof, zweite Hälfte 17. Jahrhundert Meyer 1919, 46
Pandorzither Petri 1782, S. 100; AMZ III (1801), Sp. 263  
Pandor-Zither Sachsen, 18. Jahrhundert Sieber 1958, 56, 70 u. 75
Pandorcyther Sachsen (Freiberg), 18. Jahrhundert Stößel 1778, 82
Pandor-Guitarre Sachsen, 18. Jahrhundert Sieber 1958, 56, 70 u. 75
Cythara communis Kircher 1650, S. 477  
Cetera Tedesca Bonanni 1722  
Pandora, Sachsen, 18. Jahrhundert Die sächsischen Pandoren des 18. Jahrhunderts wiesen eine unterständige Saitenbefestigung auf. Obwohl sie in der historischen Literatur meist nicht als Zistern klassifiziert werden, stehen sie aufgrund ihrer durch Metallbesaitung geprägten Klangcharakteristik zweifellos am stärksten in deren funktionaler Nähe. Eine zeitgenössische Aussage aus der kulturhistorischen Literatur des 17. Jahrhunderts untersetzt diese Auffassung einleuchtend: "Pandor / welches / wie nahe es mit der Zitter übereinkomme / und etwan etliche Seiten mehr habe / bekannter ist / als daß man viel Wesens davon mache" (Andreas Beyer: Der Christliche Bergmann oder Bergmännische Christe, Leipzig 1681; S. 275).
Das Bergmännische Wörterbuch (Chemnitz 1778, S. 82) erwähnte im Zusammenhang mit den Freiberger Bergsängern "Bergcyther" und "Pandorcyther".
Pandora ("Pandorcyther"), Sachsen, 18. Jahrhundert, Freiberg, Stadt- und Bergbaumuseum, Inv.-Nr. 53/171
Penorcon und Orpheoréon können als Varianten der Pandora betrachtet werden, jeweils um einen bzw. zwei Chöre erweitert. Die Stimmungen sind eng verwandt.
Stimmungen (nach Praetorius 1619, S. 53)
Typus Chöre Stimmung
Pandora 7 G, C D G c e a    
  C D G c f a d'  
Penorcon 9 G, A, C D G c e a d'
Orpheoréon 8   C F G c f a d' g'
  D G A d g h e' a'
Trotz der Existenz von Tabulaturen englischer Provenienz (siehe Harwood 1984, S. 144ff.) erlangte die Pandora ihre wichtigste funktionale Bestimmung als Fundament- oder Continuoinstrument im 16. und 17. Jahrhundert. Sie galt als eines der obligatorischen Instrumente im "broken consort", und Michael Praetorius zählte sie zu den Fundament-Instrumenten, "weil sie zum Fundament mit einer Stimm und sonsten allein darin zu singen und zu klingen gebaut werden müssen: Als die Orgel, Regal, Clavicymbel, Virginal, Laute, Harfe, Doppel-Cither, Pandor, Penorcon, und dergleichen." (Praetorius 1619, S. 7). In seinen Choralkonzerten "Polyhymnia caduceatrix et panegyrica" (1619) erwähnte er mehrfach in den Besetzungsvorschlägen Pandoren. 
Simon de Passe: Musizierende Gesellschaft, 1612, Kupferstich (Detail), 10,4 x 13,8 cm, Kunstsammlungen Veste Coburg, Inv.-Nr. VII 308.26 Simon de Passe: Musizierende Gesellschaft, 1612, Kupferstich (Detail), 10,4 x 13,8 cm, Kunstsammlungen Veste Coburg, Inv.-Nr. VII 308.26; vgl. Salmen 1981, S. 71 
Michael Praetorius: Polyhymnia caduceatrix et panegyrica, Wolfenbüttel 1619, hrsg. von F. Blume, Wolfenbüttel/Berlin 1930 und 1933 (= Gesamtausgabe der musikalischen Werke von M. Praetorius, Bd. XVII, 1/2); XI. Gelobet und gepreiset. à 5 & 9.; I, S. 50 "Seind auch Lauten, Theorben, Cithern und Pandoren vorhanden / so müssen sie bei die Concertat-Stimmen geordnet werden."
Ebd., VIII. Wenn wir in höchsten Nöten sein. à 4. 8. & 9.; I, S. 27 "In diesem hab ich die Capellam Fidiciniam durch und durch mit 4 Stimmen darzu gesetzet / nicht daß es also durch und durch mit vier Violen oder Geigen (welches auch wohl geschehen kann/) gemacht werden sollte; sondern daß man mit Lauten und Geigen / welches mit den beiden Buchstaben V. und L. sonderlich in dem Baß sub Num. 8 allzeit drunter gezeichnet / umwechseln könne. Wie ich dann dieserwegen einen absonderlichen Baß vor die Lauten / Theorben und Pandoren herauser gezogen / und in Nono oder Nona Parte zu finden ist."
Ebd., XXXVIII. Missa: gantz Teudsch: Glory sey Gott / etc. cum Sinfoniis. Und: Allein Gott in der Höh sey Ehr: mit dem Echo. à 6. 7. 8. 9. 11.; II, S. 664 "Darum denn von Nöten / und es auch viel herrlicher und lieblicher riusciren und resoniren würde / wenn man Clavicymbela, Lauten / Pandoren und dergleichen / und also einen Lauten-Chor zu diesen dreien Instrumenten ordnete."
Heinrich Schütz: Historia Der frölichen und Siegreichen Aufferstehung unsers einigen Erlösers und Seligmachers Jesu Christi, Dresden / Bey Simel Bergen / Im Jahr / 1623, Vorrede; siehe A. Berner: Die Musikinstrumente zur Zeit Heinrich Schützens. In: Sagittarius I, Kassel 1966, S. 30-42 "Der Evangelist kan in ein Orgelwerck / Positiff, oder auch in ein Instrument, Lauten / Pandor, &c. nach gefallen gesungen werden / wie dann zu dem ende die Wort des Evangelisten unter den Bassum continuum mitgesetzt worden"
Gabriel Voigtländer: Erster Theil Allerhand Oden unnd Lieder, Sohra 1642, H. Kruse; 21647 und 31650, M. Volck, Goslar; 41651, N. Duncker, Ratzeburg; 51664, N. Nissen; siehe D. Härtwig: Voigtländer. In: MGG XIII (1966), Sp. 1912; Salmen 1982, S. 15 "welche auf allerley, als Italianische, Frantzösische, Englische und anderer Teutschen guten Componisten Melodien unnd Arien gerichtet, hohen und Nieder Stands Persohnen zu sonderlicher Ergetzligkeit und vornehmer Conviviis und Zusammenkunfften bey Clavi Cimbalen, Lauten, Tiorben, Pandorn, Violen di Gamba gantz bequemlich zu gebrauchen und zu singen"
Bei Heinrich Schütz heißt es 1623 in der Vorrede zur Historia von der Auferstehung Jesu Christi: "Der Evangelist kan in ein Orgelwerck / Positiff, oder auch in ein Instrument, Lauten / Pandor, &c. nach gefallen gesungen werden", und auch Gabriel Voigtländer weist im Titel seiner Oden und Lieder aus dem Jahre 1642 darauf hin, daß diese im Kreise "vornehmer Convivias und Zusammenkünfften bey Clavi Cimbalen, Lauten, Tiorben, Pandorn, Violen di Gamba gantz bequemlich zu gebrauchen und zu singen" seien. Am Ende des 17. Jahrhunderts befand sich die Pandora unter den Continuoinstrumenten des Hamburger Opernorchesters (Kleefeld 1899/1900, S. 233ff.), und noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehörten zur fürstlichen Hofkapelle in Weißenfels zwei "Kammer-Pandoristen": Pantaleon Hebestreit und Joseph Doberozinsky (Werner 1911, S. 68 und 71).  Allerdings scheint diese Funktionsbezeichnung eine Ausnahme gewesen zu sein, denn in der Regel bildete die Pandora unter den Instrumenten, die ein Musiker beherrschte, nicht das Hauptinstrument. Das Beispiel des von 1645 bis 1668 im Dienst von Herzog August von Braunschweig-Lüneburg zu Wolfenbüttel stehenden Lautenisten Johann Friedrich Roth, der neben Laute auch Viola da gamba, Violine, Pandora und weitere Instrumente spielte (Hennings 1951, S. 101), dürfte den typischen Stellenwert der Pandora widerspiegeln.
Michael Praetorius: Syntagma Musicum, Theatrum Instrumentorum, Wolfenbüttel 1620; Taf. XVII Michael Praetorius: Syntagma Musicum, Theatrum Instrumentorum, Wolfenbüttel 1620; Taf. XVII

Nr. 1:  "Bandoer"

Nr. 2:  "Penorcon"

Nr. 3:  "Orpheoréon"
Penorcon und Orpheoréon der Leipziger Sammlung wurden nach historischen Bildvorlagen rekonstruiert (vgl. Michael Praetorius, Syntagma Musicum, Theatrum Instrumentorum, Wolfenbüttel 1620, Taf. XVII). Auch bei  der Pandora - es sind nur noch Fragmente erhalten - soll es sich um eine Nachbildung aus dem 19. Jahrhundert handeln.
Zwei Instrumente, Orpheoréon und Penorcon, fertigte der Restaurator des Musikhistorischen Museums in Köln, Wilhelm Busch, um 1910 an. Aus heutiger Sicht stellen sie selbst Dokumente einer historistischen Denkweise dar. Ob sie jemals zum Spielen gedacht waren oder primär als Schauobjekte dienen sollten, läßt sich schwer entscheiden. Auf letzteren Zweck weisen einige grundsätzliche Irrtümer in der Konstruktion hin. Insbesondere die nach Lautenvorbild angelegten Darmbünde stellen ein generelles Mißverständnis des Instruments dar. Da bei Penorcon und Orpheoréon die Querriegel schräg zur Korpusachse stehen - das wohl wichtigste individuelle Merkmal dieser Instrumente - müssen die Bünde ebenfalls entsprechend unterschiedlich gewinkelt zur Achse angebracht werden. Das dürfte sich aber mit beweglichen Darmbünden kaum und nur höchst ungenau realisieren lassen. So stellen die Kopien handwerklich sauber gearbeitete Zeugnisse des Historismus im Musikinstrumentenbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar.
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